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Kinder und Atelier
Diskurse zur ästhetischen Praxis in der Elementarpädagogik

Zeigen

Das entscheidende Merkmal des Gemäldes "Der Schrei“ von Edvard Munch ist, „dass er nicht gehört wird“ [1]; ebenso jener Schrei der erschütterten Frau, die mit ansehen muss, wie ihr junger Sohn von regierungstreuen Soldaten erschossen wird. Dieser Schrei entstammt der beeindruckenden Treppenszene von Sergej Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin" – einem Stummfilm.
In beiden Fällen erwirkt die Qualität der bildlichen Umsetzung eine Transformation eines visuellen Erlebnisses in ein akustisches. Die erzählerische Intensität lässt beinahe eine materielle Dichte aufkommen, welche durch das Ausbleiben des Schreies ein noch dramatischeres Ausmaß annimmt.

Die Begrüßung im traditionellen Japan erfolgt durch ein gegenseitiges, je nach Rang und Achtung voreinander, mehr oder weniger tiefes aber stummes Verneigen. Der wortlose Begrüßungsgestus lässt zwischen den beiden Menschen einen Raum entstehen, welcher durch keine weitere Beifügung mit Bedeutung gefüllt wird.
Der Sinn dieser Zeremonie ist das Herstellen eines leeren, aber nicht entleerten Raumes – seine Bedeutung ist die Leere. Es ist keine inszenierte Leere oder Kunstpause von der hier die Rede ist, sondern von der Tatsache, dass der Raum eine Art Ausdehnung erfährt, welche die Handlung und die einzelnen Personen überstrahlt: Ihr Sinn überschreitet das Medium, er transzendiert es.

Ausdehnung bedeutet in diesem Kontext nicht Ausdünnung oder Verwässerung, sondern Anwesenheit von etwas, das mehr wird, als es selbst – also etwas, das kraft seiner formalen sowie materiellen Bedingtheit veranschaulicht und durch eine Art Schwingung eine Intensität erzeugt, welche kommuniziert.
Die Rede ist von Prozessen des Symbolisierens, in denen Wahrnehmen und Verstehen, gewissermaßen über Zeigen – also den expressiven Sinn – ablaufen. Dieser wirkt ohne Umweg. Die darin enthaltenen Erkenntniskräfte sind imstande eine Energie freizusetzen, welche das Individuum im Sinne des Flow-Gefühls heben und tragen kann oder im Gegenteil nahezu auflösen. Victor Hugo spricht dies mit entwaffnender Klarheit an, indem er sagt: „Musik drückt das aus, worüber nicht gesprochen werden kann, aber worüber zu schweigen unmöglich ist“ [2].

Zeigen, so kann gesagt werden, hält sich an der Vorderseite der Begriffe auf und erschließt sich dem wahrnehmenden Bewusstsein, ebenso wie Musik, durch das Ereignis. Es erschafft im Hier und Jetzt eine sinnlich wie geistig erfahrbare Dimension und überträgt die Botschaft averbal durch Intensität: durch eine ineinander wirkende Verdichtung und Ausdehnung.