Im Zuge der Ausfaltung bildlich-werkschaffender Symbolisierung ergeben sich, sowohl im elementarpädagogischen Alltag als auch im akademischen Begehren, Kreativität möglichst rechtzeitig und umfangreich zu fördern, mehrere Momente der Konfusion:
- In der Begrifflichkeit:
Nach wie vor wird, auch in Fachkreisen, von "Kritzel" bzw. "Kritzelei" gesprochen, wenn es darum geht, sehr frühe grafische Ergebnisse zu bezeichnen. Die Verwendung dieser Terminologie führt in praxi dazu, dass Kinder die Zeichenergebnisse Jüngerer, im abwertenden Sinne, als "Kritzi-Kratzi" auslegen – und die Jüngeren selbst diese Begrifflichkeit bereits übernehmen, um ihre eigenen Zeichnungen zu benennen (siehe dazu: Kritzeln, Denken, Meinen >>).
- Im simplifizierenden Sprachgebrauch [1]:
Kinder zeichnen nicht das, was sie sehen, sondern das, was sie wissen.
In der Volksschule werden die Zeichnungen zumeist schlechter.
Für Kinder ist es wichtig, dass sie durch Kreativität ihre Phantasie ausleben können.
Für Kinder ist es wichtig, die schöpferischen Kräfte spontan und frei auszuleben [2].
- In geschuldeten Ansprüchen,
Ökonomie: "... auf deinem Blatt ist aber noch so viel Platz frei!"
Ähnlichkeitsbezug: "... so sieht doch kein … aus!"
Abbildhaftigkeit: "… das gehört aber so!"
- In der konzeptuellen Aufladung:
Ein konzeptuell zu aufgeladenes Verständnis von früher Förderung führt zu Überfrachtungen, welche dem Kind nahezu jede Chance nehmen, seine eigene Symbolsprache mit der erforderlichen Offenheit und in der erforderlichen Zeit zu entwickeln.
Abgesehen davon, dass eine pädagogische Haltung, die dem Kind schon im Vorhinein einen großen Förderbedarf zuschreibt, als bedenklich einzustufen ist, drängt auch der ständige Vorgriff auf gesollte Ergebnisse die Genese individueller Symbolisierungsprozesse in einen Konflikt mit sich selbst.
- In der Idee von Kinderkunst:
Akademische Spielarten von Förderung im kreativen Bereich (!?) sind in angeleiteten Kinderkunstprojekten zu finden, in denen sich Kinder und Eltern (natürlich) gemeinsam, begleitet von professionellen Künstlerinnen und Künstlern, in sogenannten Elternwerkstätten mit (erraten!) gemeinsam gefundenen Themen auseinanderzusetzen haben...
Wie die Parameter dieser Förderung des Kindes (durch gemeinsame kreative Prozesse) zustande kommen, ist an dieser Stelle nicht Gegenstand der Debatte. Sie unterstellen jedoch dem Kind den Status des personifizierten Defizits – um nicht zu sagen den eines Homunculus – und das ist kritisch zu hinterfragen.
Eben deshalb, weil Prozesse bildlich-werkschaffender Symbolisierung entweder in die unerträgliche Leichtigkeit des musisch-kreativen "Well-Being" – also ins Nette und damit ins kreativistisch-Dekorative – geredet werden, oder aber auch für Ausgleichs-, Entspannungs- oder sonstige Übungen geradestehen müssen, drängt sich eine Diskussion darüber auf. Und diese könnte mit dem Ansatz vom Kind "als Faktum des Nicht-Alibis im Sein" [3] beginnen...