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Kinder und Atelier
Diskurse zur ästhetischen Praxis in der Elementarpädagogik

Spielerisch die Welt erobern (?)

In der öffentlichen Diskussion darüber, ab wann das Kind wie gebildet – und, wenn noch etwas fehlt, gefördert – werden soll, bleibt interessanterweise ein Punkt ausgespart, welcher auf die fundamentalsten Bildungsmomente in der kindlichen Entwicklung verweist und auch die Genese menschlicher Kulturen mitbestimmt. Ein Terminus, der verunsichert, weil er seinem Wesen nach der Präzision und Linearität gängiger Lernprogramme diametral gegenüber steht. Vielleicht auch deshalb, weil damit ganz allgemein Aktivitäten bezeichnet werden, welche ihren Zweck darin haben, sportlich oder in irgend einer anderen Form eine Partei oder Person zu dominieren und weil sie manchmal die Existenz gefährden, wenn das Gegenüber einen monetären Einsatz verlangt. Die Aufforderung, solch ludische Aktivitäten zu unterlassen und stattdessen aufzupassen, ist bekannt: beispielsweise das Kritzeln am Rand des Papierblattes, falls ein Vortrag zu anstrengend wird. Positiver besetzt ist der Begriff, wenn er im Zusammenhang mit dem Theater oder Instrumenten vorkommt – die Rede ist vom Spielen [1].

Dass Kinder spielerisch lernen, wird ohnehin dauernd betont, ebenso, dass "sich die süßen Kleinen spielerisch die Welt erobern" [2]. Diese unerträgliche Leichtigkeit will an dieser Stelle nicht gemeint sein, sondern hier ist ein Prozess angesprochen, welcher mit der menschlichen – seiner körperlichen, geistigen und emotionellen – Existenz und Empfindsamkeit im Zusammenhang steht und schlicht das Individuum in seiner Genialität sowie in seiner Verletzlichkeit umfasst. Für D. W. Winnicott ist spielen sogar mit einem "Wagnis verbunden, das sich aus dem Zusammenwirken von innerer Realität und dem Erlebnis der Kontrolle über reale Objekte er­gibt" [3].

Das spielende Kind wurde und wird vom Boulevard verniedlichend dargestellt und damit pervertiert. Selbst der Sprachgebrauch darin führt die Wertigkeit junger Kinder deutlich vor Augen, wenn von süßen Kleinen, Sprösslingen, Schützlingen etc. gesprochen oder in Beiträgen über das Berufsbild Elementarpädagogin / Elementarpädagoge mit "Job im Kindergarten" und "Job mit Zukunft" getitelt wird. Umgekehrt könnte dies als Zeichen einer schleichenden Infantilisierung des Erwachsenen gewertet werden oder als mangelnde Bewusstheit seiner ohnehin fragilen Existenz.

Dem Charakter nach ist spielen Mittel und Passage zugleich. Einerseits Mittel zur Erfahrung von Wesenheiten und andererseits Passage, welche in einen Sinnraum führt, der sich sozusagen im Sog des entstehenden Interesses bildet, indem das Kind und seine Umwelt "durch die spielerische Gestaltung zu einer (nicht weiter unterteilbaren) Handlungseinheit werden" [4].
Ausgezeichnet durch seine Ereignishaftigkeit, wie auch radikal in der Erfahrung von Intensität und Mangel, von Ge- und Misslingen, stellt es den eigentlichen, individuellen Bildungsprozess dar. Das bildende Moment konstituiert sich dabei über jenen Wesenskern im Menschen, welcher sich im Wechsel zwischen "Ich-Diffusion und Ich-Identität" [5] bewegt, sein Oszillieren zwischen Anwesendem und Abwesendem erzeugt eine Art Schwebezustand, ein Dazwischensein oder schlicht: das Interesse. Dieses "offenbart, dass der Mensch sich immer ausstreckt nach Zukünftigem, dass sein Dasein nie nur Gegenwart ist, sondern gezogen wird von der Idee eines Seinkönnens, eines eigentlicheren Daseins noch, als des jetzigen. Dieses eigentlichere Dasein fordert heraus, es ist die faszinierende Gestalt, um derentwillen es sich lohnt, zu leben, zu arbeiten, zu spielen, ja sogar zu sterben. Dafür trägt der Mensch Sorge. Ein Verfehlen wäre auch ein Verfehlen seiner selbst..." [6]. 

Von Bildung kann letzten Endes nur dann gesprochen werden, wenn ihr Ausgangspunkt und Anspruch über das persönliche Interesse definiert ist und oben angesprochenes Wagnis eingegangen wird [7]. Unter solchen Voraussetzungen ist es möglich, ein System sinnesbezüglicher und gedanklicher Verbindungen zu entwerfen, aus dem nachhaltige Konzepte, Strategien sowie Formen der Lebensbewältigung hervorgehen und das zu Prozessen der Symbolisierung befähigt, mit denen sich das menschliche Individuum eine nachvollziehbare Welt generiert oder einen Weg, der, vom Subjektiven ausgehend, zum Objektiven führt.

Was frühe Bildung anbelangt, bezieht sie ihren Ausgangspunkt einmal mehr im Spielen als Dimension von Existenz, welche sich durch eine gestische, akustische, werkschaffende Symbolbildung entwirft. Es hat zu dieser Zeit einen Stellenwert wie später kaum mehr und betrifft das Fabulieren mit der eigenen Körperlichkeit und verschiedenen Gegenständen, mit allen Facetten der Bewegung, mit Lautstrukturen und ihren ausgeprägt onomatopoetischen Elementen sowie sämtliche Herstellungsprozesse grafischer, malerischer, plastisch-skulpturaler Art und solche, die aus den verschiedensten Materialkombinationen hervorgehen.

Es sind also Symbolisierungen, mit denen das Kind hochkomplexe Gegebenheiten wie sinnliche Erlebnisse, emotionale und kognitive Vorgänge klären kann, die ihm Zugänge zu naturwissenschaftlichen Abläufen verschaffen, ihm ermöglichen "die Verwicklung von Sichtbarem und Unsichtbarem" [8] zu artikulieren oder die Dimension Eigenzeit kennen zu lernen und es deshalb befähigen, Sprache differenzierter zu denken und zu sprechen.

Selbst die Frage: "Müssen wir auch heute wieder spielen, was wir wollen?", welche die mangelnden systematisierten Bildungsstandards im Kindergarten als Argument ins Treffen führen will, zielt ins Leere. Dass hier nicht spielen gemeint sein kann, sondern eine zur Langeweile verwachsene Tätigkeit, die manchen Kindergartenalltag prägt, liegt auf der Hand. Im Gegenteil: Nachdem es, um mit Rodulfo zu sprechen, "in der kindlichen Entwicklung der Symbolisierung keine relevante Tätigkeit gibt, die nicht als Achse das Spielen hat", [9] könnte der Diskurs über frühkindliche Bildung hier ansetzen.